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Laudatio zu einer Ausstellung von Kinderkunst

Bildern zuhören

Der große Surrealist Salvador Dali hat zu vielen seiner rätselhaften und seltsamen Bilder Erklärungen abgegeben.

Er tat das nicht, damit die Menschen seine Bilder verstehen konnten.

Er tat das, um die Verwirrung über seine Bilder noch weiter zu steigern.

Viele Menschen regen sich auf, wenn sie ein Bild nicht „erkennen“. Sie sagen, „das ist doch keine Kunst“, oder sie sagen: „Das ist doch keine Landschaft“, oder sie fragen: „was soll der Blödsinn?“

Medizinisch gesehen sind Museumsbesuch und Bluthochdruck direkt ursächlich verbunden.

Aber wir wollen doch nicht die Fotografie bekämpfen. Wenn wir eine Fotografie von einer Landschaft zeigen wollten, würden wir ein Foto machen. Und viele Künstler – auch ich – sind leidenschaftliche Fotografen.

Nur ist manchmal ein Foto nicht genug.

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind war auf einer Geburtstags-Party.

Als es zurück kommt, fragen Sie es: „Na, wie war’s?“

Wortlos zieht Ihr Kind sein Handy heraus und zeigt ein Foto nach dem andern. Und da sieht man einen großen Geburtstagskuchen, lachende Kinder, die liebe Mama des kleinen Gastgebers…

aber Sie kennen Ihr Kind. Und Sie merken: da war noch was.

Also setzen Sie sich hin und sagen zu Ihrem Kind: „Na komm, erzähl mal.“

Und jetzt wird es interessant. Jetzt hören Sie auf einmal, dass die Frau Sowieso, die fürs Foto schön gelächelt hatte, eine ganz Strenge ist. Sie hören, dass es eine Hauerei gab. Und dass das Gastgeberkind beim Topfschlagen gemogelt hat.

Das Erlebnis ist eben nicht nur die Fotografie. Und eine Sache wie „das fand ich doof“ lässt sich nicht fotografieren.

Künstler sind immer die Kinder ihres Publikums. Sie wollen etwas erzählen. Sie drücken sich, wie Kinder, unbeholfen aus; und sie müssen viele Entwürfe machen, bis sie selber den „Ausdruck gelungen“ finden.

Ja, ich auch.

Und so stammeln wir unsere Leinwände voll. Wir lernen wie Kinder durch die Reaktion der Menschen, an die wir uns wenden, ob das jetzt gut oder falsch war. Ob die „message“ „rüberkam“.

Und wie Kinder bleiben manche von uns im Unfertigen hängen und sind auch noch stolz darauf.

Ich ermutige meine Kursteilnehmer, ihr inneres Kind einfach machen zu lassen. Es darf reifen, es darf regredieren, es darf alles sein, was es will und kann. Nur ausdrücken soll es sich.

Wenn im Kurs über das Malen geredet wird, kommen viele spannende Antworten aus den Künstlern hervor.

Malen ist abenteuerlich, höre ich. Es ist eine Entdeckungsreise zu sich selbst, bei der die Richtung ständig wechselt. Eine konzentrierte und intensive Auseinandersetzung mit der Umgebung.

„Ich gebe mich der Führung der Hand hin“, sagt die eine; „Ich lasse Formen, Farben und Rhythmus entstehen und frage mich dann, warum sie entstehen“, sagt der andere.

„Es ist ein Sich-Kennen-Lernen“.

Ich weiß nicht, was ein Kunststudent über diese Äußerungen sagen würde. Mir sagen sie vor allem, dass da jemand Spaß und Freude hat. Die „Reise zum Ich“ wird in beinah jedem Kurs genannt; die Freiheit wird ganz grundsätzlich Thema, und zwar gerade bei den Menschen, die beim Malen ihre Begrenzung spüren und sich von Bewertung und Analyse frei machen wollen.

Und da sehen wir sie nun, die inneren Kinder. Zutiefst offen und verletzlich hängen ihre Aussagen an der Wand und wollen zu Ihnen reden.

Sagen Sie nicht gleich was dazu. Lassen Sie es auf sich wirken. Versuchen Sie nicht, gleich alles zu verstehen – das wird auch Kindern nicht gerecht. Mein Tipp, wenn man einem Bild begegnet, ist, sich wie ein Erwachsener einem Kind gegenüber zu verhalten. Und zu zu hören.

Damit bin ich am Ende. Stellen Sie sich einfach vor die Bilder und öffnen Sie Ihr inneres Gehör. Ich dagegen mache meinen Mund jetzt zu mit einem letzten: „viel Freude!“

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